Freitag, 6. Juni 2014

Am Ende der Nahrungskette?

Gestern war ich auf dem Bibliothekartag und im Anschluß der Vorträge zum Thema Langzeitarchivierung entspann sich eine kleine hitzige Diskussion, darüber ob man im Workflow die abliefernden Stellen dazu bekommen könne, Dokumente für das Langzeitarchiv zukünftig in besserer Qualität bereitzustellen.

Das Kernproblem ist, daß man im Langzeitarchiv aus folgenden Gründen nur archivfähige Dokumente halten möchte. Archivfähig (sh. Nestor Handbuch)  sind diese Dokumenttypen dann, wenn sie:

  • offen spezifiziert sind, damit man im Notfall einen Programmierer heransetzen kann, falls keine anderen Werkzeuge mehr existieren
  • große Verbreitung erfahren, weil dann die Chance hoch ist, daß genügend Erfahrungen mit dem Dokumenttyp vorhanden sind (und der Aufwandf sich ggf. lohnt)
  • eine geringe Komplexität besitzen, da so Interpretationsmissverständnisse und damit Fehler minimiert werden
  • ohne Rechtemanagment versehen sind, damit man die Dokumente ohne Probleme (Schlüssel weg, Anbieter existiert nicht mehr) lesen und verarbeiten kann
  • selbstdokumentierend sind, sprich: wichtige Aussagen über das Dokument selbst, wie Autor, Erzeugungsdatum, Stichworte im Format hinterlegt sind. Hintergrund ist hierbei, daß man im Fall der Fälle, wenn nur noch dieses Dokument existiert, man den Katalog an Metadaten neu aufbauen könnte.
  • robust gegen kleine Fehler sind. Fehler bleiben nicht aus. Seien es durch Hardware bedingte Bitfehler oder Fehler in der Software. Robust sein bedeutet auch, daß kleine Fehler im Datenstrom keine großen Schäden im Dokument nach sich ziehen. Deswegen fallen komprimierte (Teil-)Dokumente nicht unter diese Forderung.
  • keine oder nur geringe Abhängigkeiten von spezieller Hardware, Software oder anderen Resourcen haben. 
Da die Welt nicht ideal ist, werden Bibliotheken immer auch Dokumente angeboten bekommen, die nicht obige Kriterien erfüllen.

Üblicher (vereinfachter) Workflow
für Bibliotheksaufnahme

Unsere Kollegin hatte in ihrem Vortrag folgenden Workflow vorgestellt, der versucht einen Kompromiß zwischen "idealer Welt" und "Wir machen es den Abliefernden so einfach wie möglich" zu erreichen, in dem Dokumente nach obigen Kriterien geprüft und bei Verletzung eine Automatische Korrektur (ggf. Konvertierung) in ein besser für die Langzeitarchivierung geeignetes Dokument zu erreichen. Da die Konvertierungstools dabei das Aussehen des Dokumentes verändern können, wird das Ergebnis dem Abliefernden zur Überprüfung mitgeteilt.
Erweiterter Workflow um Abliefernden
die Konformität zum Langzeitarchiv so
einfach wie möglich nahezubringen
Die Diskussion entspann sich daran, daß es "schlicht unmöglich sei, die Abliefernden damit zu belasten", weil man doch "froh drüber sein muss, wenn überhaupt abgeliefert werde". In dem Zusammenhang fiel auch der Satz: "Als Langzeitarchiv stehen wir am Ende der Verwertungskette" und der Abliefernde "hat ja gar keine Veranlassung an die Langzeitarchivierung" zu denken.

Ich halte diese Aussagen im Übrigen für eine faule Ausrede. Ja, es stimmt, zur Zeit ist kaum ein Bewusstsein für Langzeitarchivierung vorhanden. Aber da heißt es nicht, Kopf in den Stand zu stecken, sondern dieses Bewusstsein zu wecken.

Wir haben auch gar keine andere Wahl. Die Zahl der vielfältigen elektronischen Formate wächst  nahezu exponentiell. Die Zahl der elektronischen Publikationen (wie anfangs die der Bücher) ebenfalls.

Europäische Produktion von gedruckten Büchern ca. 1450–1800.png
Europäische Produktion von gedruckten
Büchern ca. 1450–1800
“ von Tentotwo,
CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons.
Absatz EBooks in Deutschland, Quelle: Statista


Wenn wir nur auf Bitstream-Preservation (Reines Backup) setzen werden wir einen Großteil unseres kulturellen Erbes verlieren.

Als Gedächtnisorganistionen werden wir immer nur ein Bruchteil der Ressourcen zur Verfügung haben, es ist utopisch zu glauben, daß man, Zitat: "Badbank für Archive" einrichten könne. Also machen kann man das schon, doch es ist dann eine bloße Datenmüllhalde, die dem eigentlichen Zweck der Langzeitarchivierung, die Verfügbarhaltung und Sicherung der Nutzbarkeit von Dokumenten entgegenläuft.

Kurzum, wir leben nicht in einer idealen Welt, aber ein Grund zu kapitulieren ist das nicht. Wir müssen spätestens jetzt anfangen darauf hinzuwirken, daß von unserer Kultur mehr als nur die Reste bleiben.


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